Als Mitglied der Neigungsgruppe »Informationsgewinnung zum Zwecke der Meinungsbildung« vermeint man sich seit geraumer Zeit gefangen in einem mehr oder weniger toxischen Gemenge aus Halbwahrheiten, Gerüchten, Hörensagen, als Berichten verkauften Meinungen und so weiter und so fort. Storytelling und Message Control dominieren die Informationsweitergabe und das keineswegs nur in politischen Kommunikation. Alles, was an die Frau, an den Mann gebracht werden will, braucht ein Narrativ.
Panta rhei – alles fließt, alles verschwimmt. Was ist Bericht, was ist Meinung? Was ist anerkannte Wissenschaft, was Verschwörungstheorie?
Tagtäglich sind wir mit einer Flut von Informationen konfrontiert, sei es im engsten, privaten Umfeld, sei es im sozialen, im gesellschaftlichen, politischen oder gar im globalen Rahmen. Und genauso oft sind wir mehr oder weniger gezwungen, Informationen zu filtern, zu bewerten, zu verwerfen oder zu speichern und zu verarbeiten. Als Entscheidungsgrundlage und zur Meinungsbildung. Unser gesamtes Leben beruht mehr oder weniger auf Informationsgewinnung und Informationsverarbeitung. Der Mensch ist eine riesiges Rechenzentrum, eine Datenverarbeitungsmaschine.
Ich möchte ganz bewusst auf einen Grundsatz der Informatik zurückgreifen, der mir während bereits meines – doch schon viele Jahre zurückliegenden – Studiums untergekommen ist und der nichts an Aktualität verloren hat, weder in der elektronischen noch in der menschlichen Datenverarbeitung – »Rubbish in, rubbish out«. Qualitativ anspruchsvolle Meinungsbildung ist nur dann möglich, wenn die zugrundeliegenden Informationen in entsprechender Qualität vorliegen.
An dieser Stelle ergibt sich nun die Frage, was denn qualitativ hochwertige Information ausmacht, wer darüber entscheidet. Nun, eine zentrale Instanz in diesem Bewertungsprozess ist naturgemäß immer der oder die Meinungsbildner*in selbst. Es muss dem Menschen zulässig sein, selbst zu entscheiden, wo und wie er/sie sich informieren will und wie diese Inputs verarbeitet sollen. Wie viel Ratio und wieviel Emotion in diesen Meinungsbildungsprozess miteinfließen sollen ist immer eine individuelle Angelegenheit.
Nachdem jedoch der Mensch in bedeutendem Ausmaß ein soziales Wesen im diskursiven Austausch mit anderen Menschen ist, ergibt sich auch der Anspruch nach einer gemeinsamen und wohl auch objektivierenbaren Informationsbasis. Und genau an dieser Stelle beginnen die Probleme – das Problem der Auswahl der Informationsquellen, das deren Bewertung und Verarbeitung und – ganz wesentlich – das deren Argumentation im Meinungsaustausch.
Ein Begriff taucht in diesem Zusammenhang nahezu tagtäglich und an jeder Stelle auf – Fake News. Und damit auch die Frage, wem man denn überhaupt noch trauen könne.
Der Begriff der Fake News ist bei weitem nicht so neu, wie man gemeinhin annehmen möchte und er wurde ganz sicher nicht von Donald Trump erfunden. Bereits zu Beginn der 1890er Jahre wurde er in britischen Zeitungsschlagzeilen verwendet. Gemeinhin werden darunter – damals wie heute – Falschmeldungen verstanden, die glaubwürdigem Journalismus ähneln, jedoch mehr oder weniger frei erfunden sind, um die Konsument*innen dieser Nachrichten zu täuschen und um damit für Aufmerksamkeit, Weiterverbreitung und auch für Werbeeinnahmen für ihre Urheber zu sorgen.
Meine Absicht ist es keineswegs, den Begriff zu sezieren, Beweggründe anzuprangern oder vor Fake News zu warnen; dies geschieht an anderer Stelle wohl berufener und wissenschaftlich fundierter als ich es zu leisten je imstande wäre. Ich möchte eine Diskussion, einen Nachdenken- und Reflexionsprozess anstoßen und dazu ein paar Beispiele und Denkansätze einbringen, die mir in letzter Zeit vor Bleistift und Notizbuch gesprungen sind.
Ein interessantes Beispiel – exemplarisch herausgegriffen und ohne (partei-)politische Hintergedanken oder Absichten – hat sich erst vor Kurzem in der österreichischen Medienlandschaft ereignet. Einem Abgeordneten zum soeben neu gewählten Nationalrat wird da auf der Titelseite einer durchaus reichweitenstarken Tageszeitung in dicken, leuchten Lettern unterstellt, ein unverschämt hohes Beratungshonorar zu beziehen und das ausgerechnet von jener Partei, für die er ein paar Tage später in den dann zu konstituierenden Nationalrat einzuziehen gedenkt.
Mehrere Stürme der Entrüstung brechen angesichts dieser Nachricht los. Einerseits rollt eine Welle der Empörung betreffend den vermeintlichen Selbstbedienungsladen und die völlige Maßlosigkeit der beschuldigten Person an und andererseits meldet sich auch der Mandatar wutentbrannt zu Wort und verweist die Beschuldigungen allesamt ins Reich der Legende. Zudem beklagt er, dass sowohl Schlagzeile auf der Titelseite als auch dazugehöriger Artikel im Blattinneren ohne jegliche Recherche entstanden seien.
Auch die Journalistin, die sowohl Schlagzeile als auch Artikel verfasst hatte, meldete sich zu Wort. Sie rechtfertigte ihr Werk damit, dass sie einerseits Informanten, die sie aufgrund des journalistischen Quellenschutzes nicht nennen wolle, vertraut habe und außerdem im Artikel ohnehin eine gewisse Klarstellung erfolge und die Schlagzeile eine durchaus legitime Zuspitzung zum Zwecke der Erzielung von Aufmerksamkeit sei. Es gibt also diesen Mandatar, es gibt einen Vertrag, es gibt auch die genannte Summe – nur eben nicht in der genannten Verbindung. Fake News, Lüge, alternative Fakten oder eben lediglich eine legitime, journalistische Zuspitzung?
Im Zuge der medialen Auf- und Abarbeitung dieses kurzumrissenen Falles ist mir Geschichtes des genialen Satirikers Ephraim Kishon, die dieser in den 1970er Jahren verfasst hat, in den Sinn gekommen »Titel, Tod und Teufel«. Darin beschreibt Kishon die Verärgerung des Chefredakteuers Grienbutter über das seiner Meinung nach zuwenig abwechslungsreiche Schriftbild; aus Zeitnot kann jedoch Grienbutter nicht persönlich mit dem zuständigen Jakob, genannt Jankele, sprechen und schickt ihm stattdessen eine kurze Notiz: »Jakob Titel verschieden; Gewerkschaft; USA« Das ganze umrahmt er mit dickem, schwarzem Filzstift. Jankele fühlt sich von der Anrede Jakob nicht angesprochen und das Unheil nimmt seinen Lauf. Er verfasst eine Todesanzeige für den unlängst auf einer USA-Reise verstorbenen hochrangigen Gewerkschaftsfunktionär Jakob Titel. Die Meldung verselbständigt sich, das Land versinkt daraufhin in tiefer Trauer, die Anzeigeneinnahmen der Zeitung sprudeln, der Chefredakteur hat im allgemeinen Wehklagen und darauffolgenden dankbaren Gedenken an die große Persönlichkeit Jakob Titel nicht den Funken einer Chance den Irrtum richtigzustellen und wird vielmehr selbst als Verräter und Scharlatan bezichtigt. Nach weiteren Irrungen wird ihm jedoch zu guter Letzt noch der »Jakob-Titel-Preis für Publizistik« verliehen.
Wer die Satire von Ephraim Kishon in voller Länge nachlesen möchte, sie ist ursprünglich im Erzählband »Nicht so laut vor Jericho« erschienen, der jedoch vergriffen ist, und aktuell im Band »Kishon – Alle Satiren« enthalten.
Die Grenzen sind fließend – Fake, Lüge, Irrtum, Zuspitzung oder doch nur eine andere Art der Wahrnehmung?
Die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann sagte in einer Rede »Wie der Schriftsteller die anderen zur Wahrheit zu ermutigen versucht durch Darstellung, so ermutigen ihn die andren, wenn sie ihm, durch Lob und Tadel, zu verstehen geben, daß sie die Wahrheit von ihm fordern und in den Stand kommen wollen, wo ihnen die Augen aufgehen. Die Wahrheit nämlich ist dem Menschen zumutbar.« Dies wurde auch zur Inschrift auf ihrem Grabstein »Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar«
Müsste dieser Satz nun nicht vielmehr abgewandelt werden »Wieviel Fake ist dem Menschen zumutbar?«
Vor einigen Wochen vertrat ein Studiogast einer Radiosendung die These, dass es ein Leben ohne Fake gar nicht geben könne und er selbst versteht seine Tätigkeit als Vortragender und Autor mehrerer Bücher als Plädoyer für die gepflegte Täuschung. Als Beispiele für die Untermauerung seiner These führt er die Lebensläufe namhafter, erfolgreicher Persönlichkeiten an, die ohne Übertreibungen, ohne überhöhte Darstellung eigener Fähigkeiten wohl andere und deutlich weniger erfolgreiche Verläufe genommen hätten. Fake, Täuschung, Selbstüberhöhung als Marketinginstrumente für die eigene Person und als Motivation, sich tatsächlich dorthin zu entwickeln, wo man sich vorerst nur hinphantasiert hat, letztendlich also als positiver Push-Faktor für den Erfolg. Nicht umsonst gilt Storytelling als anerkannter und nachgefragter Geschäftszweig.
In einer seiner bedeutendsten Publikationen stellt der Philosoph, Psychotherapeut und Kommunikationswissenschafter Paul Watzlawick die Frage »Wie wirklich ist die Wirklichkeit?« und klärt darüber auf, dass das, was wir gemeinhin als Wirklichkeit bezeichnen, vielmehr das Ergebnis zwischenmenschlicher Kommunikation ist.
Sind wir also tatsächlich gefangen in einem Universum aus Blendungen und Zerrbildern, oder gar aus Konstrukten und Lügen? Sind wir die Figuren, die schon Platon vor etwa 2.500 Jahren in seiner »Politeia« als Höhlengleichnis beschrieben hat, Gefangene in einer Höhle der Unwissenheit, umgeben von Schatten und unfähig diese Höhle zu verlassen und anstelle der Schatten die tatsächlichen Objekte wahrzunehmen?
Fragen über Fragen. Je mehr Fragen, desto weniger Antworten, desto spannender auch der Diskurs.