Wege zu einer besseren Demokratie

Seit vielen Jahren beobachte ich das „eigenartige“ Verhältnis zwischen Parlament und Regierung in Österreich. Das verfassungsrechtliche Prinzip der Gewaltentrennung funktioniert hier nur als Randerscheinung, Koalitionsverhandlungen und Koalitionsbrüche mit vorzeitigen Neuwahlen sind scheinbar systemimmanent. Ich – und vermutlich viele andere Menschen – fragen sich daher, ob es da nicht eine bessere Lösung geben kann – vielleicht eine Demokratie 2.0

Ein bisher nicht veröffentlichter Aufsatz von Siegfried Schrotta mit dem Titel „Stabile Regierung bewirkt starke Demokratie“ und ein sehr interessantes Gespräch darüber, hat mich veranlasst, meine Gedanken und Ideen zusammenzuschreiben und im Rahmen eines Demokratie-Salons zu diskutieren.

Die aktuellen Probleme

Um etwas besser zu machen, muss man zunächst die aktuelle Situation analysieren. Wo liegen also die Probleme unserer derzeitigen Demokratie?

1. Die Wahl der Abgeordneten

Jeder Wahlberechtigte hat eine Stimme, die er einer von den wahlwerbenden Parteien geben kann. Erreicht eine Partei nicht den erforderlichen Anteil von 4%, sind ihre Stimmen verloren, so als wären es ungültige Stimmen. Damit ist es für neue und kleine Parteien, die sich für ganz spezielle Anliegen einsetzen wollen (Korruptionsbekämpfung, Tierschutz, Bildung), die jedoch auf Grund ihrer Größe und Erfahrungn nicht regierungsfähig sind, schwer, im Parlament vertreten zu sein.
Wozu muss eine Partei, die ich ins Parlament wähle, regierungsfähig sein?

2. Die Regierungsbildung – Missachtung des verfassungsrechtlichen Prinzips der Gewaltentrennung

Obwohl in der Verfassung die Gewaltentrennung verankert ist, besteht de facto Identität zwischen Regierung und parlamentarischer Mehrheit. Um eine stabile Regierung bilden zu können, werden daher in Koalitionsverhandlungen Kompromisse gesucht und vereinbart, die das Regierungsprogramm der nächsten Legislaturperiode bestimmen. Je mehr Parteien im Parlament vertreten sind, umso kleiner sind die relativen Mehrheiten und umso größer wird die Notwendigkeit zu Kompromissen.

Ob damit gute Lösungen für das Land gefördert werden, ist zu bezweifeln.

3. Forderung nach dem „starken Mann“ – Tendenz zu Populismus[1]

Die Notwendigkeit zu Kompromissen führt nun dazu, dass Parteien Ängste schüren und einfache Lösungen anbieten, um bei Wahlen als „Stimme des Volkes“ einen höheren Machtanteil zu erhalten. Ebenso fördert dies den Ruf nach einer Mehrheitswahl[2], bei der die relativ stärkste Partei die absolute Mehrheit bekommt. Damit wäre eine stabile Regierung ohne Notwendigkeit von Kompromissen möglich und könnte das eigene Wahlprogramm kompromisslos umgesetzt werden.

4. Missbrauch der direkten Demokratie

Wenn die repräsentative Demokratie bei großen Herausforderungen keine befriedigende Lösung findet, folgt rasch der Ruf nach mehr direkter Demokratie. Die bestehenden Werkzeuge der direkten Demokratie, wie Volksbegehren, Volksbefragung und Volksabstimmung, fördern jedoch die Tendenz zu populistischen Vereinfachungen und zur Spaltung der Gesellschaft. Es stellt sich daher die Frage, ob und wie ein MEHR an direkter Demokratie zu einer Verbesserung der Demokratie führen kann.

Lösungsansätze

Da die aufgezeigten Schwächen des aktuellen demokratischen Systems ineinander greifen, möchte ich verschiedene Fragen und mögliche Antworten als These zur Diskussion stellen, die in Kombination eine Verbesserung der Demokratie bewirken.

Braucht eine Regierung tatsächlich die sichere und absolute Mehrheit im Parlament?

Ist die Wahl der Abgeordneten die richtige Methode?

Gibt es vielleicht neue direktdemokratische Elemente, die bessere Lösungen für das Gemeinwohl hervorbringen?

Ich möchte hier auf meinen Beitrag „DEMOKRATIE – WAS IST DAS EIGENTLICH?“ verweisen. Wahlen gänzlich abzuschaffen und durch das Los zu ersetzen, wie dies David Van Reybrouck („Gegen Wahlen. Warum Abstimmen nicht demokratisch ist“), ist ein sehr radikaler Ansatz.

Aber der Reihe nach.

These 1: Gewaltentrennung

In der derzeitigen Praxis sind Nationalratswahlen „Regierungswahlen“ bei denen mit dem Begriff der „Kanzler-Wahl“ geworben wird und Medien nach dem künftigen Regierungsprogramm fragen.

Um der Forderung nach Gewaltentrennung[3] näher zu kommen, könnten Parlament und Kanzler (Regierungschef) getrennt gewählt werden.

Das stärkt einerseits die Position des Kanzlers, ermöglicht andererseits aber auch, das Verhältniswahlrecht und damit die repräsentative Demokratie beizubehalten. Dem Volk wird aber auch bewusst gemacht, dass Regierung (Verwaltung) und Parlament (Gesetzgebung) nicht ident sind.

Zur Wahl stehen also einerseits Personen, die Regierungsverantwortung übernehmen wollen, andererseits Parteien, die für von ihnen propagierte Werte und Anliegen eintreten und deren Abgeordnete im Nationalrat das Volk repräsentieren.

Zur Vermeidung von Stichwahlen, sollte bei der Direktwahl des Kanzlers die Stimmabgabe je Kandidat*in möglich sein. Dazu erhält der Wähler je Kandidat einen Stimmzettel mit der Möglichkeit JA / NEIN / EGAL zu wählen. Die Wählerin / der Wähler hat nun die Möglichkeit, für jede Kandidatin und jeden Kandidaten zum Ausdruck zu bringen, ob er diese Person als Kanzler möchte oder ablehnt. EGAL hat keinen Einfluss, ermöglicht jedoch die Abgabe einer Stimme ohne ungültig zu wählen. Als gewählt gilt jene Person, bei der die JA-Stimmen die NEIN-Stimmen am meisten übersteigen. Der gewählte Kanzler bildet nun sein Regierungsteam. Je nach Mehrheitsverhältnissen im Parlament, könnten hier auch unabhängige Experten oder Kandidaten anderer Lager als Minister zum Zug kommen, um eine höhere Akzeptanz zu erreichen. Die Einsetzung der neuen Regierung sollte rasch und in bewährter Weise durch den Bundespräsidenten erfolgen. Koalitionsverhandlungen sind auf Grund der direkten Legitimation nicht erforderlich.

Da in diesem Modell die Regierung keine gesicherte Mehrheit im Parlament hat, sind zum einen die Regelungen über das dem Nationalrat zustehende Recht des Misstrauensvotums neu zu regeln, zum anderen ist ein weiterer Mechanismus zur Erzielung guter Gesetze erforderlich.

Die Parlamentswahl kann im Wesentlichen wie bisher erfolgen, wobei die 4% Schwelle ersatzlos gestrichen werden sollte. Bei 183 Abgeordneten entfallen auf jeden Repräsentanten 0,55% der gültigen Stimmen.

These 2: Der Bürgerrat

Analog zum Nationalrat ist der Bürgerrat ein demografisches Abbild des Volkes, das durch Los zusammengesetzt wird. 100 Personen werden dabei nach demografischen Kriterien wie Geschlecht, Alter und Region gelost, 80 Personen auf Grund anderer Kriterien, wie Beruf, Vertreter von Verbänden, NGOs, wobei auch hier das Los entscheidet.

Wichtig ist, dass die Auswahl durch Los erfolgt, die Funktion für einen begrenzten Zeitraum von zB einem Jahr erfolgt und alle Personen ihre eigene Meinung und nicht die eines Verbandes oder einer Gruppe vertreten sollen.

Den Vorsitz des Bürgerrates führt ein 3er-Kollegium aus dem Kreis der Richter, wobei auch hier das Los entscheiden sollte.

Die Aufgabe des Bürgerrates ist es, vorliegende Gesetzesvorlagen hinsichtlich der Akzeptanz zu beurteilen und Widerstände zu artikulieren. Dem Bürgerrat steht also keine Entscheidungskompetenz zu, sondern handelt es sich um ein bloßes beratendes Gremium aus dem Volk.

Auch soll der Bürgerrat nicht mit jedem Gesetzesvorhaben befasst werden, sondern nur dann, wenn dies vom Nationalrat beantragt und vom Bundespräsidenten bestätigt wird. Das für den Antrag erforderliche Quorum könnte zB bei 20% bis 33% liegen. Sowohl ein verfassungsrechtlicher Ausschluss als auch die zwingende Befassung bestimmter Materien sind denkbar.

Der Sinn…

Anmerkungen

[1] Populismus ist eine mit politischen Absichten verbundene, auf Volksstimmungen gerichtete Themenwahl und Rhetorik. Dabei geht es mal um die Erzeugung bestimmter Stimmungen, mal um die Ausnutzung und Verstärkung vorhandener Stimmungslagen zu eigenen politischen Zwecken. Oft zeigt sich Populismus auch in einem spezifischen Politikstil und dient als Strategie zum Machterwerb.In der politischen Auseinandersetzung setzen Populisten oft auf Polarisierung, Personalisierung, Moralisierung und Argumente ad populum oder ad hominem. Ebenfalls bezeichnend ist die Ablehnung traditioneller politischer Parteien.Als Ursachen für den populistischen Auftrieb gelten … ein verbreiteter Mangel an Zufriedenheit mit Entscheidungsprozessen und politischer Praxis.Quelle: https://de.m.wikipedia.org/wiki/PopulismusSiehe auch: http://m.politik-lexikon.at/populismus/

[2] so zB Kommentar Ortner, Wiener Zeitung vom 27.09.2019 https://www.wienerzeitung.at/meinung/gastkommentare/2031024-Warum-wir-kuenftig-anders-waehlen-sollten.html

[3] Siehe Wikipedia > Nationalrat (Österreich) > Abschnitt: Kritik: Abgeordnete der Regierungsfraktionen würden sich durch die vorausgesetzte Klubdisziplin nicht als legislative Kontrollore der Exekutive verstehen, sondern als Helfer der Regierung. Die vom Ministerrat beschlossenen Gesetzesvorschläge (Regierungsvorlagen) würden den Nationalratsabgeordneten vorgelegt, damit diese mit mehr oder weniger „Abnicken“ umgesetzt werden. https://de.m.wikipedia.org/wiki/Nationalrat_(%C3%96sterreich)#Kritik

Eine Antwort auf „Wege zu einer besseren Demokratie“

  1. Im gestrigen Demokratie-Salon wurde dieses Thema diskutiert. Anzumerken ist, dass der Beitrag noch „in Arbeit“ ist. Die Meinungen aus der Diskussion werden noch eingearbeitet.

    Klares Ziel ist jedoch, durch einen wie immer genannten Bürgerrat die Demokratie zu verbessern und die Rolle des Souveräns (das Volk) zu stärken.

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